Freitag, 23. März 2012

Mundus Novus

Warum Amerika Amerika heißt, weiß ja jedes Kind. Ich sage nur Americo Vespucci.
Wie es allerdings wirklich dazu kam, dass der neue Kontinent nicht nach seinem wahren Entdecker Christoph Columbus benannt wurde, diese Frage beschäftigte mich.

Wer also war Amerigo Vespucci?
Geboren wurde er am 9. März 1452 oder 1454 in Florenz als drittes Kind einer angesehenen florentinischen Familie. Fakt ist auch: Er stand seit 1482 in den Diensten der mächtigen Bankiersfamilie Medici, die Vespucci im Jahre 1491 in ihre Filiale nach Sevilla entsandte. Dort trat er 1492 als Assistent des Geschäftsführers Giannotto Berardi in dessen Dienste. Berardi war auch im Sklavenhandel tätig.
Als die Firma Berardis durch die enormen Kosten von Columbus’ zweiter Reise Bankrott gegangen war, übernahm Vespucci die Abwicklung des Unternehmens. Später half er auch, die Schiffe von Columbus’ dritter Reise auszurüsten.
Columbus sah ihn immer als guten Freund.


Von 1499 an zog es Vespucci dann selbst auf See, freilich wohl meist nur als Passagier auf den Schiffen anderer Entdecker, manchmal immerhin auch als Navigator oder als Kapitän eines Schiffes in einer Flotte. Aber mehr nicht.
Dafür war er jedoch ein großartiger Erzähler. Er erfand eine ganze Expedition und schilderte andere Reisen, etwa nach Brasilien, in farbigen Briefen an Bekannte und Würdenträger, ganz so, als wäre er selbst der entscheidende Mann der Flotte gewesen. Vermutlich wusste Vespucci  damals schon, dass die Welt belogen werden will. Sein Verdienst: Er ahnte wohl, dass sie es da mit einer „Neuen Welt“ zu tun hatten. Und deshalb hieß einer seiner Texte „Mundus Novus“, und das war ein neuer Gedanke.

Und während Columbus seine Entdeckungen meist recht trocken beschrieb, ließ der Florentiner nichts aus. Besonders das Liebesleben der Indianer hatte es Vespucci angetan. Die Indianerfrauen seien „sehr wollüstig“ und würden „die Genitalien der Männer mit Drogen behandeln, damit diese anschwellen. Die Männer wiederum würden es mit allen treiben, auch mit Mutter und Schwester. Die Europäer daheim verschlangen die deftigen Texte entsprechend gierig, Vespuccis Briefe wurden schnell vervielfältigt und kursierten bald in Übersetzungen auf dem ganzen alten Kontinent.
Ein Exemplar gelangte auch zu dem deutschen Kartografen Martin Waldseemüller (Waltzemüller) aus Lothringen. Im Alter von etwa 20 Jahren wurde er 1490 unter dem Namen Martinus Waltzemüller an der Universität Freiburg immatrikuliert. Er studierte Mathematik und Geographie. Während des Studiums lernte er auch den späteren Partner Matthias Ringmann kennen.

Nach seinem Studium reiste Waldseemüller mit Ringmann in den Ort St.Didel (Saint-Dié-des-Vosges) auf der Westseite der Vogesen im Herzogtum Lothringen. Das dortige Kloster entwickelte sich im Mittelalter zu einem Zentrum der humanistischen Bewegung. Waldseemüller lehrte dort als Professor für Kosmologie, arbeitete jedoch gleichzeitig zusammen mit Ringmann, der Professor für Latein war, als Kartograf.
Im Jahre 1507 veröffentlichte Waldseemüller mit Hilfe seines Partners Ringmann sein bekanntestes Werk. Eine Weltkarte, die erstmals auch die Neue Welt darstellte. Diese Karte stellt zusammen mit einem Erdglobus und einer Beischrift ein dreiteiliges Projekt dar, dem Waldseemüller den lateinischen Namen: „Universalis cosmographia secundum Ptholomaei traditionem et Americi Vespucii aliorumque lustrationes“ gab.

Übersetzung: „Die vollständige Kosmografie nach der Überlieferung des Ptolemäus sowie nach dem Augenschein Amerigo Vespuccis und anderer.“

Waldseemüller schrieb in einer Art Begleitwort: Weil Americus Vesputius einen vierten Teil der Welt entdeckt hat, sehe ich nicht, warum irgendjemand dagegen Einspruch erheben sollte, dass dieser Teil nach Americus dem Entdecker benannt wird. Also Land des Americus oder America, da sowohl Europa als auch Asien ihre Namen von Frauen haben …“

So geschah es also. Und da Waldseemüller so ungemein viel Spaß an seiner Idee hatte, da „America“ so schön klang, trug er diesen Namen auch gleich auf seiner Karte ein, natürlich in Großbuchstaben. Und der wahre Entdecker Christopher Columbus war seit einem Jahr tot und konnte demzufolge naturgemäß keinen Einspruch mehr erheben. Von den Wikingern (Leif Eriksson) mal ganz zu schweigen.

Nichtsdestotrotz in gewisser Weise machte diese Namensgebung dennoch Sinn, da Christoph Kolumbus stets der Ansicht war, den Seeweg nach Indien entdeckt zu haben, weshalb Kolumbus die von ihm entdeckten Inseln auch als westwärts von Indien gelegene Inseln ansah und sie deshalb als Westindische Inseln (und demzufolge deren Bewohner Indianer) benannte. Bald danach übernahmen die meisten Kartografen Waldseemüllers Wortschöpfung. Wessen Idee es aber wirklich war, den neuen Kontinent America zu nennen, ob es nun Waldseemüller oder sein Partner Ringmann war, das kann wohl nie geklärt werden.


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