Dienstag, 1. März 2011

Der Ungeist

Am Spätnachmittag spuckte der Intercity-Express “Rendsburg” den Ungeist am Münchner Hauptbahnhof aus. Mit dem Taxi ließ sich dieser zum nahe gelegenen Hotel Vier Jahreszeiten chauffieren.
Der Taxifahrer war heilfroh als der Ungeist seinen Wagen endlich wieder verlassen hatte. Kein Trinkgeld, kein freundliches Lächeln. Nur ein gelegentliches Knurren, das war alles, was dieser Fahrgast von sich zu geben in der Lage gewesen war. Am Hotel angekommen kümmerte sich ein sofort herbei geeilter Bediensteter um das Gepäck des neuen Gastes. Dieser schritt zielstrebig durch die luxuriöse Eingangshalle und begab sich sofort zur Rezeption. Dort angekommen begrüßte ihn der Portier mit einem leicht säuerlichen Lächeln. Nach den üblichen Formalitäten wünschte er dem Ungeist noch einen schönen Aufenthalt in München.


Plötzlich jedoch war lautes Schreien in der Hotelhalle zu hören und alle blickten in die Richtung aus der das Ungemach kam. Nur der Ungeist nicht. Ein junges Pärchen hatte sich anscheinend in die Haare gekriegt. Die Frau schrie hysterisch um sich und schlug schließlich ihrem Gegenüber mit der Faust ins Gesicht. Blut spritzte. Der junge Mann fasste sich an die Nase.
„Verzeihen Sie bitte, aber so etwas kommt in unserem Haus normalerweise nicht vor…“, beeilte sich der Portier zu sagen.
Der Ungeist schenkte dem ganzen Vorfall jedoch keinerlei Beachtung. Schnurstracks ging er zum Aufzug.
Gegen Abend galt es noch einen Termin mit einem Herrn Fleischhauer wahrzunehmen. Seines Zeichens Staatssekretär in der bayerischen Staatskanzlei. Im Zimmer angekommen führte der Ungeist als Erstes zwei Telefongespräche. Eines davon mit seiner Zentrale. Anschließend begab er sich wieder hinunter, um im Restaurant des Hotels noch ein kleines Abendessen einzunehmen.

Dr. Fleischhauer erwartete ihn dort bereits und zusammen ließ man sich Gegrillte Putenbrust mit Aprikosen schmecken.
„Morgen Nachmittag gegen 15 Uhr findet die Pressekonferenz in der Münchner Residenz statt. Sie werden abgeholt“, sagte Dr. Fleischhauer eher beiläufig.
„Sehr gut“, erwiderte der Ungeist trocken.
„Wie nahe komme ich an ihn heran?“
„Sie werden in meiner Begleitung sein. Somit werden sie dem Ministerpräsidenten sogar die Hand schütteln können“, erwiderte Dr. Fleischhauer.
„Gut, dann kann ja nichts schief gehen“, knurrte der Ungeist.
„Wir überlassen nichts dem Zufall“, antwortete der Staatssekretär im selbstbewussten Tonfall und wischte sich mit einer Serviette die fettigen Lippen ab.

Am nächsten Tag wartete der Ungeist vor dem Hotel auf den Wagen der ihn zur Residenz bringen sollte. Mit etwas Verspätung traf ein schwarzer Mercedes ein. Der Fahrer hielt in der zweiten Reihe, was natürlich in der überfüllten Maximiliansstraße sofort ein grausames Hupkonzert nach sich zog. Auch die weiß blaue Straßenbahn bimmelte was das Zeug hielt. Nachdem der Fahrer des Mercedes in aller Seelenruhe ausgestiegen war, blickte er zum Hoteleingang und winkte dem Ungeist zu. Das Hupkonzert wurde immer brachialer und die Dreistigkeit mit der sich der Ungeist in aller Ruhe zum Wagen bewegte sorgte für eine weitere Steigerung des fulminanten Blechkonzertes.
Nachdem er endlich eingestiegen war fuhr der schwere Wagen langsam los. Zusehends beruhigte sich das ordinäre Straßenorchester.

Der Fahrer fuhr zum Max Joseph Platz, um dann rechts in die Residenzstraße einzubiegen. Diese Straße war allerdings abgesperrt, da es sich um eine Fußgängerzone handelte. Doch der Polizist der dort postiert war, winkte den Mercedes sofort durch, da er am Kennzeichen des Wagens unschwer erkennen konnte, dass hier eine Staatskarosse unterwegs war. Vor der Residenz wartete bereits eine unruhige Pressemeute auf den heiß ersehnten Einlass. Genau in dem Moment als der Ungeist an dem Ort seines bestellten Wirkens eintraf, öffneten sich die großen Türen des mittelalterlichen Prachtbaus und die Pressemeute stob in das Innere der Münchner Residenz.
Dr. Fleischhauer sowie mehrere Ministerialdirigenten erwarteten bereits den Ungeist, welcher sich lässig aus dem Wagen schälte.
„Ich grüße sie, bitte folgen sie uns“, sagte Dr. Fleischhauer zu dem Ungeist wobei er ihm kräftig die Hand schüttelte. Sein Lächeln sowie das der anderen ihn umringenden Herren strahlte unübersehbar große Siegesgewissheit aus.

Zusammen betrat die kleine Gruppe nun ebenfalls das monumentale Gebäude und begab sich unverzüglich in den rechten Flügel, welcher zum Kaisersaal führte. Unterwegs sagte Dr. Fleischhauer zu dem Ungeist: „Bevor die Pressekonferenz anfängt werde ich sie dem Ministerpräsidenten Seehofer persönlich vorstellen. Sie sind Dr. Eisenbart von der China-Kommission. Das genügt. Wenn Herr Seehofer China hört, sieht er nämlich nur noch schwarze Zahlen.“
Alle lachten, außer dem Ungeist.

Es dauerte nicht lange und auch der Landesvater Seehofer traf inmitten seiner Entourage vor dem Kaisersaal ein.
„Kommen sie!“ zischte Dr. Fleischhauer zu dem Ungeist und beide schritten direkt auf Herrn Seehofer zu.
„Herr Ministerpräsident, wie ich mich freue sie zu sehen. Darf ich ihnen bei dieser Gelegenheit Dr. Eisenbart von der China Kommission vorstellen“. Sofort erhellt sich das Gesicht des Ministerpräsidenten und wie auf Knopfdruck erstrahlte die kampferprobte Seehoferlächelmaske.
„Sehr erfreut Dr. Eisenbart. Schön das sie auch hier sind. Ich werde selbstverständlich die Gelegenheit nützen und auch noch einige Sätze zu unserem neuen Handelsabkommen mit China sagen“. Der Ungeist schüttelte stumm die dargebotene große Hand des Ministerpräsidenten.
Die Entourage jedoch drängte ungeduldig weiter und Dr. Fleischhauer und seine kleine Gruppe schlossen sich an.

Im Inneren des Kaisersaals warteten zahlreiche Journalisten. Seehofer begab sich mit seinem Referenten zum Podium und nahm Platz. Nach einer Weile erhob sich eine Dame und sprach zu den Reporten:
„Die Pressekonferenz ist hiermit eröffnet. Bitte stellen sie nun ihre Fragen“, worauf eines der Mikrophone eine grässliche Rückkoppelung von sich gab.
„Herr Ministerpräsident was sagen sie zur derzeitigen Beliebtheit von Herrn Gutenberg?“, lautete die erste Frage.
Augenblicklich schlug die lächelnd zur Schau getragene Souveränität des Landesvaters um. Zornesröte stieg in sein Gesicht während er mit beiden Fäusten auf den Tisch schlug. Er schrie förmlich: „Gutenberg… Gutenberg… sie sind wohl verrückt geworden, was soll denn diese Frage. Könnt ihr denn immer nur provozieren… ihr elenden Schmierfinken?“

Doch dem nicht genug. Seehofer stieß vor Wut schreiend den Tisch um und rannte zu dem Fragsteller. Dann packte er den armen Mann an den Haaren und erteilte ihm eine schallende Ohrfeige.
Ein unbeschreiblicher Tumult war selbstverständlich die unmittelbare Folge. Vor laufenden Kameras und zahlreichen Publikum hatte der mächtigste Mann im Staate Bayern also die Contenance verloren. Und das auf eine Art und Weise, wie man es noch nie vorher bei einem Politiker gesehen hatte. Der Eklat war somit perfekt.

Zufrieden grinsten Dr. Fleischhauer und seine Kollegen. Sie klopften dem Ungeist anerkennend auf die Schultern und zusammen verließen sie anschließend in bester Stimmung den Ort, der zu Seehofers Untergang geführt hatte. Nur der Ungeist blickte völlig teilnahmslos.

Schon am nächsten Morgen erreichte Dr. Fleischhauer eine SMS in der ihm der sofortige Rücktritt Seehofers mitgeteilt wurde.
Nun galt es also Plan B auszuführen, nämlich Gutenberg als neuen Ministerpräsident zu installieren. Ein Kinderspiel. Deshalb machte sich Dr. Fleischhauer unverzüglich auf den Weg in die Staatskanzlei, um alle dafür vorgesehenen Maßnahmen in die Wege zu leiten.
Und tatsächlich. Gutenberg wurde schon einen Monat später zum neuen Ministerpräsident von Bayern ernannt. Der Ungeist jedoch war schon am darauf folgenden Tag in neuer Mission unterwegs. Diesmal ging es nach Nordafrika. Dort galt es Tyrannen zu stürzen.